
David Rost ist geschäftsführender Partner der Dresdner Agentur neongrau. Tagsüber macht er sich Gedanken über Fragestellungen wie "können Besucher mit Hilfe von interaktiven Exponaten in einer Ausstellung handwerkliche Arbeitsschritte ausprobieren, ohne selbst in der Werkstatt zu stehen?", "wie müssen Abläufe in einem Flugzeug so organisiert sein, damit unterschiedlichste Fluggäste mit der selben Infrastruktur gut klar kommen?" und "wer nutzt ein Produkt wann, wo, wie und warum? Und braucht man es überhaupt?"
Dafür untersucht er Nutzen, Funktionalität und Gebrauch, setzt sich mit Fertigungsverfahren, Zielgruppenbezug, Lebensdauer und Ressourcen auseinander. Und moderiert mit allen am Prozess Beteiligten ihre Interessen, um herauszufinden, was das Produkt ausmacht.
In seiner Werkstatt baut er Busse aus, stellt Verbindungselemente mit seinem 3D-Drucker her und entwirft Balance Boards.
Und David zeichnet gerne, egal ob im Beruf oder privat. Dann allerdings mit Pinsel und Aquarellfarbe, Menschen, Landschaft und Architektur. Seit kurzem auch wieder Akt. Wir haben mit David über Ästhetik und seine Leidenschaft am Zeichnen gesprochen.
Abends tauschst du deine Marker gegen die Pinsel, was liebst du am Zeichnen?
David Rost: Menschen sind als räumliche Gebilde meistens deutlich komplexer als Bauteile. Und sie erzählen Geschichten. Ich lerne beim Zeichnen etwas über die Menschen, die ich portraitiere. Wie funktioniert Licht und Schatten als Gestaltungsmittel? Wie wirken die Figuren im Raum? Was drücken sie aus? Und weil ich die Figuren im Gegensatz zu den Produkten, die ich entwerfe, mir nicht ausdenke, habe ich das Gefühl, noch freier arbeiten zu können. Ich setze Zeichnen mit räumlichem Verstehen gleich.

Konntest du schon immer gut zeichnen? Wie hast du dir das Wissen „draufgezogen“? Und warum spielt das Zeichnen für dich eine wichtige Rolle?
David Rost: Ich habe schon früher Aktzeichnung gemacht. Dafür habe ich in meiner Heimatstadt Jena eine Abendschule besucht.
Zeichnen ist für mich die Grundlage für jegliches künstlerisches Schaffen, so wie ich es kennengelernt habe. Ich finde, dadurch, dass wir Menschen sind, stehen Menschen auch immer im Kern unseres Interesses. Aber nicht: Wie sehen sie aus. Sondern was macht sie aus? Was bewegt sie? Und das entspannt mich. Es ist ein Ausgleich, der sinnstiftend ist. Auch wenn es für niemanden ist, außer für mich. Und es entspannt mich, mir die Menschen so anzugucken, wie sie gerade stehen, sitzen oder in sich versunken sind.
Als nächstes möchte ich gerne noch besser darin werden, mir auszudenken, wie der Mensch, den ich portraitieren will steht, ohne das ich ihn sehe.

Wie sieht dein kreativer Prozess aus, quasi vom ersten Aufschlag hin zu einer Zeichnung, die dir gefällt und mit der du zufrieden bist?
David Rost: Ich zeichne auf Papier, ich verarbeite meine Zeichnung, entwickle sie weiter und damit befinde ich mich in einer permanenten Feedbackschleife: Meine Hand macht eine Linie auf Papier, ich sehe das, interpretiere das und schaffe so die Illusion von einer dreidimensionalen Form in nur zwei Dimensionen.
Beim Zeichnen passiert sehr viel gleichzeitig. Denn es kommt viel zusammen: Objekte im Raum, Balance, Innenwelt nach außen. Dafür stelle ich mir beispielsweise Fragen wie ‚wie funktioniert Bewegung?‘ und ‚wie Anatomie?‘ oder ‚wie wirken Kräfte im Raum?‘
Es ist natürlich auch ein handwerkliches Thema. Meine Hand-Augen-Koordination zu verbessern, finde ich sehr spannend. Ich kann jederzeit und ortsunabhängig damit anfangen, jemanden zu studieren. Wenn dann erste Dinge funktionieren, wird das Zeichnen immer leichter.

Was liebst du am Zeichnen mit Aquarellfarben?
David Rost: Ich glaube, das hat etwas mit meinen Vorbildern zu tun. Tomas Pajdlhauser aka Captain Tom hat eine verstaubte Technik cool gemacht. Tomas ist Künstler, Creative Director in Los Angeles und Mitinhaber und eines Skateboardladens. Er macht aus Graffiti etwas super Expressives. Ich liebe seine Bilder, sie haben die Technik der Aquarellzeichnung komplett verändert.
Nicht, dass ich etwas gegen alte Meister hätte oder dass sie viel mit Aquarell gearbeitet hätten, aber die Technik ist mit Künstlern wie Tomas zeitgemäß geworden, sie hat etwas Lockeres, Träumerisches und ich kann beim Zeichnen viel dem Zufall überlassen. Im Endeffekt geht es um das permanente Nachjustieren und Spielen mit allem möglichen.
Was möchtest du anderen, die auch gerne zeichnen lernen wollen, mitgeben?
Ich behaupte, dass man sehr viel lernen kann, auch wenn man sich das nicht zutraut. So nach dem Motto ‚ich bin nicht kreativ, ich kann nicht zeichnen.‘ Das will ich widerlegen. Wenn man das eigene Unwissen nicht als etwas Negatives sieht, sondern als "Journey" betrachtet und der Lust am Ausprobieren nachgeht, dann kommt man aus dieser Grundhalt ‚ich kann es nicht‘ raus.
Es war noch nie so einfach wie heute, sich in Communities und Tutorials Wissen einzuholen. Und für die ersten Erfolgserlebnisse auf diesem Weg helfen die Tutorials, weil man das Gesehene gleich ausprobieren kann.
Noch ein positiver Effekt: Zeichnen gibt mir mehr Dopamin als Netflix, Doomscrollen auf Instagram und YouTube zusammen. Auch wenn ich einen langen Arbeitstag hatte, sitze ich manchmal abends noch vier Stunden und zeichne.
Danke für das Interview, lieber David.

Fotos: Sylvi Weidlich
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