

Liam Floyd und Lena Dobner lernten sich vor einigen Jahren kennen. Als Liam den Kopf noch voller Träume hatte. Eigentlich wollte er seine Musikerkarierre starten. Es kam ihm zu der Zeit noch gar nicht in den Sinn, Kunstgeschichte zu studieren. Liam verfolgte aufmerksam ihre Entwicklung auf Instagram und erfuhr so, dass Lena eine Person suchte, die Kunstgeschichte studierte. Liam hatte zwischenzeitlich sein Studium begonnen und antwortete ihr, ohne zu wissen, was ihn erwartet.
Was folgte, war die Zusammenarbeit an der Gruppenausstellung Prospektive, bei der ein Großteil der Klasse von Daniel Richter von der AdbK Wien, zusammen mit einem Großteil der Klasse von Ralf Kerbach von der HfbK Dresden, 2019 im Semperdepot der AdbK Wien und 2020 im Oktogon der HfbK Dresden, gemeinsam ausstellten. Liam übernahm dafür zusammen mit Paolina Wandruszka die Kuration der Ausstellung. Durch die Zusammenarbeit an der Ausstellung und unzähligen Atelierbesuchen entwickelte sich parallel eine Freundschaft und eine professionelle Beziehung. Also war es für Liam selbstverständlich, Lena bei ihrer Diplomarbeit zu helfen.
Der angehende Kurator beschreibt folgend nicht nur die Diplomarbeit von Lena Dobner. Schnell wird ersichtlich, wie die zeitgenössische Künstlerin und der Kurator nach dem Studium in Dresden gemeinsam den Weg in die Kunstwelt gehen.
"Im Sommer 2021 präsentierte Lena ihre Diplomarbeit mit dem Titel Eros & Thanatos an der HfbK Dresden. Die Arbeit besteht aus 20 Öl- und Ei-Tempera Gemälden auf Leinwand, davon sechs großformatige, fünf mittlere Formate und neun kleine, und einer raumfüllenden Installation bestehend aus sechs, im Stil eines barocken Gartens angelegten, erhöhten weißen Blumenbeeten, in welchen ca. 400 weiße Gips-Rosen aus dem Sand ragten. Außerdem war der Raum erfüllt von Klavierstücken von Chilly Gonzales, Richard Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy, die Lena speziell für die Diplomarbeit selbst eingespielt und aufgenommen hat. Betrat man den Raum 105, in dem die Diplomarbeit ausgestellt war, konnte man nur ein paar Schritte in den Raum hineingehen, bevor der Weg von dem Arrangement der Blumenbeete vorgegeben wurde.

Auf der, von der Tür aus gesehen, rechten Seite des Raums hingen die vier Gemälde aus der Serie L’amour est un oiseau qui rebelle I-IV, welche in knalligem pink, rot und rosa gemalte, nackte und haarlose Gruppen von Menschen zeigen. Diese Figuren sind ineinander verschlugen und umrankt von Blumen. Auf jedem Bild wird die Gruppe umrahmt von einem angedeutetem Bogen. Außerdem hingen an der rechten Wand zwei mittelgroße Gemälde mit Motiven von Kundry und Parsifal aus der Oper Parsifal von Richard Wagner, dazu später mehr. Auf der gegenüberliegenden Wand, zur linken Seite der Tür, hingen zwei große Gemälde mit einer einzelnen, ebenfalls nackten und haarlosen Person im Mittelpunkt, hier jedoch vor dem Hintergrund eines grau-schwarzen bedrohlichen, abgestorbenen Waldes.
Gipsschnecken und Parsifal im Hochformat
Die Blumen, die sich durch diese beiden Bilder ranken sind braun, welk und tot. Auch hier ist Kundry das zentrale Motiv. An der Wand gegenüber der Tür, hingen links neben dem großen Fenster, in einer Höhe von etwa vier Metern, ein Selbstporträt von Lena und auf der rechten Seite des Festers zwei Porträts von einem Mann. Blickte man zur Tür, sah man eine Reihe von neun kleinen Gemälden, mit Darstellungen von Brüsten und auf Rosen beißenden Mündern im Querformat und Porträts von Blumenmädchen aus der Oper Parsifal im Hochformat. Die neun kleinen Bilder waren abwechselnd nach Hoch- und Querformat gehängt und erstreckten sich über dem Türrahmen über die gesamte Wand. Das ganz rechte Bild hing an der Wand zusammen mit den beiden großen Kundry-Darstellungen, orthogonal zum Rest der Bilderreihe, wodurch diese ‚um die Ecke gingen‘. Außerdem hingen und lagen zwischen den Bildern an allen Wänden, auf dem Boden und der Fensterback sowie dem Waschbecken viele kleine weiße Schnecken aus Gips und weitere Gips-Rosen.

Um einen tieferen Einblick und eine möglichst direkte und unverfälschte Beschreibung zu den Inhalten ihrer Diplomarbeit zu bekommen - und, um der Gefahr einer peinlichen Fehlinterpretation zu entgehen - habe ich Lena einige Fragen dazu gestellt:
Lena, wie bist Du auf die Oper Parsifal von Richard Wagner, der Figur Kundry und dem Zaubergarten als Leitmotive Deiner Diplomarbeit gekommen?
Auf die Oper Parsifal von Richard Wagner bin ich gekommen, weil sie an die Thematik von Eros und Thanatos anschließt. Kundry hat sich über den Tod lächerlich gemacht und ihr wurde dazu ein Schwur aufgelegt. Sie wurde dazu verdammt, nicht sterben zu dürfen. Sie ist die Anführerin der Blumenmädchen des bösen Klingsor, die die Eindringlinge verführen musste. Es ist quasi dasselbe Prinzip Freuds, nur umgekehrt. Kundry hat eigentlich den Lebensdrang satt. Sie bettelt nach Schlaf und Ruhe.
Der Titel „Eros & Thanatos“ ist ein Bezug auf den, von Sigmund Freud geprägten und umstrittenen, Begriff des Todestriebs. Was hat es mit dem Titel auf sich und welche Rolle spielt er in den Arbeiten?
Eros und Thanatos beschreibt das Phänomen, bei dem der Mensch, wenn er mit dem Tod konfrontiert wird, in eine Art Lebensdrang verfällt. Bevor ich auf diesen Titel kam, habe ich an der Serie „L'armour est un oiseau rebelle“ gearbeitet. Dabei habe ich immer und immer wieder die gleichnamige Arie von Carmen/Puccini gehört und Bezug auf diese Oper genommen. Gerade dort sieht man auch diese Thematik. Ekstase, Liebe und Tod. Eigentlich ist es wenig thematischer Inhalt, aber dennoch ein großes, aufgeblähtes Theater.
In der aus vier großformatigen Bildern bestehenden Serie „L’amour est un oiseau qui rebelle, I-IV“ sind Gruppen von Menschen dargestellt. Wer sind diese Menschen und welche Entwicklung vollzieht sich in der Serie?
Es sind Verführer als auch Retter. In den ersten Bildern zehren sie an der Frau. Die Frau weiß meist nicht, wohin mit sich selbst, aber wehrt sich auch nicht. Ab dem dritten Bild findet langsam eine Metamorphose statt. Auch die Blumen verändern sich. Die Rosen werden zum Löwenzahn, ebenfalls ein Gewächs der Metamorphose und erste Verführer beginnen mit der Frau zu kommunizieren bis letztendlich beim letzten Bild alles eskaliert und die Verführer endgültig zu Rettern werden und die Frau tragen. Es sind meine Retter und Begleiter.
Du erwähntest mir gegenüber, dass Du Dich in der Darstellung der Figur Kundry in Deinen Bildern selbst darstellst. Es sind als Selbstporträts als Kundry. Welchen Bezug hast Du zu dieser Figur?
Das wichtigste in meiner Kunst ist Authentizität und die écriture automatique. Authentizität ergibt sich für mich dadurch, dass ich Themen in der Kunst behandle, die viel mit mir und meinen Erlebnissen zu tun haben. Ich möchte damit die reinste und klarste Sprache für mich entwickeln. Die écriture automatique oder auch mein naiver Tachismus entstehen dann während des Malprozesses. Er schildert wie Kundry gemalt ist, nämlich durch das reinste Gefühl, welches nicht hinterfragt wird. Zusammenfassend stehen die Fragen im Vordergrund: Was ist dargestellt, die Frage der Authentizität? - Kundry. Wie ist sie dargestellt? Der Malprozess der écriture automatiqe und auch in welcher Umgebung ist sie dargestellt? Im Zaubergarten, der eigentlich in einer dürren Wüste ist.
Der Zaubergarten in Richard Wagners Parsifal war inspiriert von Wagners Besuch der Villa Rufolo in Ravello, Italien. Du warst nach der Fertigstellung Deiner Diplomarbeit selbst dort. Wie war das für Dich? Hast Du mit dem Thema abgeschlossen?
Es war wunderschön und erhaben. Der Garten der Villa ist prächtig und verzaubernd. Im Nachhinein kann ich vielleicht nachvollziehen, warum Wagner den Begriff „Zaubergarten" wählte. Allgemein war die Italienreise die Vollendung meines Diploms. Es endete damit, dass ich am letzten Tag sehr viele Briefe versendete. Diese ganzen Gedanken sind nun wieder einzeln bei verschiedenen Menschen verteilt und der Zauber verweht...
Der kuratorische Prozess
Meine kuratorische Arbeit an Lenas Diplomausstellung begann mit der Auswahl der Bilder, welche sich als kurzer Prozess erwies, da fast alle Bilder, die Lena in Vorbereitung auf das Diplom gemalt hatte, einen Platz fanden. Zwei haben wir direkt am Anfang, vor allem aufgrund ihrer farblichen Gestaltung, aussortiert und eines der Blumenmädchen hat leider am Ende doch keinen Platz mehr gefunden.
"Nach einigem Herumschieben habe ich entschlossen, die Bilder in Anlehnung an die barocke Pendanthängung, abwechselnd nach Hoch- und Querformat aufzuhängen."
Für die Porträts der Blumenmädchen, die Münder und die Brüste war ursprünglich eine Art Petersburger Hängung über dem Bereich der Tür vorgesehen. Nach einigem Herumschieben habe ich aber entschlossen, die Bilder in Anlehnung an die barocke Pendanthängung abwechselnd nach Hoch- und Querformat aufzuhängen, wobei das letzte Bild die Reihe um die Ecke biegen lässt und an der Wand mit den beiden großformatigen Kundry-Bildern hängt. So möchte ich eine Verbindung zu diesen beiden Bildern und dem Raum herstellen.
Anfangs war im Raum absolutes Chaos, als die Malereien - nur an die Wand gelehnt - herumstanden und die Blumenbeete kreuz und quer hochkant verteilt waren. Ich habe sofort gemerkt, dass, für die Anzahl an Bildern, vor allem solch bunten, wilden Bildern und den Größenumfang der Zaubergarten-Installation, eine Ordnung geschaffen werden musste, damit man nicht völlig erschlagen wird, wenn man den Raum betritt. Deshalb war es für mich wichtig, die Bilder gewissermaßen in Gruppen zu sortieren und auch so, und nicht bunt durcheinander, aufzuhängen.
Prinzipiell habe ich mich an zwei Achsen im Raum orientiert, an denen ich die Bildmitte orientiert habe. Eine bei ca. 155 cm und eine bei 355 cm. Dadurch ist, denke ich, viel Ruhe in den Raum gekommen. Das war mir wichtig, da die Unruhe und Energie, die Lenas Malereien teilweise ausstrahlen, nicht von einer Unruhe im Raum gestört werden sollten, sondern ihre volle Wirkung aus sich heraus entfalten sollten.

Wichtig ist auch, zu begreifen, dass die Malereien nicht losgelöst von der Zaubergarten-Installation und der Musik, den Rosen und den Schnecken, zu sehen sind, sondern erst alles zusammen eine einzige große Installation ergibt. Ich habe versucht, in Lenas autobiografische und emotionale Arbeit, durch Ordnung eine Ruhe zu bringen, welche es erlaubt, von außen und von nicht Mitwissenden betrachtet und verstanden zu werden. Wenn Menschen, die den Raum betreten haben, davon geschockt oder überwältigt waren, dann war das auf jeden Fall so gedacht. Jedoch sollte die Installation keineswegs abschreckend sein, sondern einladen, in den Zaubergarten, in Lenas Welt und ihre Emotionen einzutauchen und sie von innen zu betrachten."
Für das kommende Jahr haben Lena Dobner und Liam Floyd viele gemeinsame Ideen und Projekte an denen sie arbeiten möchten. Das nächste gemeinsame Projekt ist die Gruppenausstellung Transit City, welche von Januar bis April 2022 in der städtischen Galerie OKO in Opava, Tschechien, stattfindet. Lena stellt dort zusammen mit einigen anderen Künstler*innen aus und Liam hat wieder einmal die ehrenvolle Aufgabe, kuratieren zu dürfen.
Liam Floyd Liam Floyd studiert Kunstgeschichte an der TU Dresden, arbeitet als freier Kurator und ist freier Mitarbeiter am Kunsthaus Dresden.
Lena Dobner Lena Dobner ist Künstlerin und studierte bis 2021 bei Ralf Kerbach an der HfbK Dresden und bei Daniel Richter an der AdbK Wien. Sie hat unter anderem im Kunsthaus Dahlem und der Kunstsammlung Hurrle ausgestellt und lebt und arbeitet in Dresden, Nürnberg und Wien.
Fotos: Liam Floyd
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